Poetische Kreativitätssuche

Das ist ein lockeres Projekt, ein mal-schauen-wo-es-hinführt-und-wenn-es-nirgends-hin-führt-auch-okay Projekt aber trotzdem fühlt man sich wie eine unwürdige Heuchlerin, wenn man sich nicht täglich Einfallsreichtum von der Melancholie-verseuchten Seele tippselt. Die Muse küsst eben nicht, sie pickt wie Pech am konfusen Herzen und will sich mit der Schreibfeder Futzelchen für Futzelchen runterkratzen lassen. 

© Tobias Spranger

© Tobias Spranger

Man will kreativ sein, inspiriert sein, den ganzen Tag malen, zeichnen, schreiben, weil man endlich Zeit hat dafür und tut dann tagelang gar nichts weil man überfordert ist mit so viel Zeit. Da wartet man jahrelang auf den Moment, wo man mit sich alleine ist und nutzt ihn dann nicht. Das Alleine-Sein hat nämlich seine Tücken: Erst jubelt die Introvertiertheit auf, dann wird sie vom Drang nach Fremdbestätigung erdrosselt und am Ende liegt man in einem Zimmer voller Ideen und fadisiert sich zum Start des Hauptabendprogramms schon in den Schlaf. Immerhin herrscht eine wunderbare innere Ruhe, ein allgegenwärtiger Zen-Mode trampelt jegliches Stressaufkommen zu Boden.

Kreativität ist so eine trügerische Gestalt. Ich stelle mich anderen stets als kreativ vor und mag es, wenn mein Schein Wirkung tut und man mich mit dem Adjektiv komplementiert. Dabei führen wir eine sehr misstrauische Liebesbeziehung; ich pflege K. nicht fürsorglich genug, dafür lässt sie mich in den motiviertesten Momenten im Stich, “lalala”-t dann laut vor sich hin und ignoriert meine Versöhnungsrufe.

Meine Kreativität lebt. Sie hat ihren eigenen Kopf entwickelt und ihre eigene Sexualität, die mich geißelt. Wenn ich gerade länger nicht ins Tun komme, werde ich richtig scharf. Als würde Kreativität über Wochen mit ihrem Schwanz vor meiner Nase wedeln, mich aber nie ganz aufsteigen lassen. Wie beim Sex ist es aber auch mit ihr viel zu oft am Ende die Aufregung gar nicht wert gewesen; dann liege ich gelangweilt am Sofa vorm Handy, die angerührten Farben vor mir und scrolle gedankenverloren und faul lieber stundenlang von Instabild zu -story bis mir der Daumen einschläft und schließlich sie. Meine Kreativität ist wild und bunt, sie entwickelt ihr unverschämtes Eigenleben in meinem, entscheidet selbst wann ich eintreten darf und wann jedes Klopfen verklingt.

Wenn ich mich inspirieren will, hilft es so zu tun, als wäre mir meine Kreativität egal; bis sie mich von meiner Ignoranz betört von hinten überrascht. Oder ich sie mit Rauch, Räucherstäbchen, Kerzen und Schnee in Unterwäsche und betörender Musik so lange kitzle, bis sie mir durch das Spiegelbild ästhetisch stöhnend entgegen haucht. Ja, Kreativität ist für mich Sex. Ich muss erst Raum für Sex schaffen, um ihre Leidenschaft zu spüren. Sie ist sinnlich und will gereizt werden und verführt, berauscht sein, vor allem berauscht sein, bevor sie sich über mich hermacht. Das ist eine schöne Symbiose, die aber viel Zeit und die richtige Mood zum Keimen braucht - lieber würde ich mir öfters einen Schuss setzen und auskotzen, was raus muss, anstatt mich wochenlang gedanklich mit den ganzen unbeschmierten Blättern rumzuärgern, bis ich wieder einen ganzen ungestörten Tag opfern kann.

K. ist die Liebe, die mich dieses Jahr am meisten verstört, am stärksten belastet und am himmlischsten belohnt. Sie ist toxisch, reserviert und birgt doch so viel Magie in ihrem Wesen. Zeit, Liebe, Bock sie endlich richtig in mein Leben zu lassen - angstfrei, final. Alles oder nichts.

Es macht so lebendig, sich absichtlich in Selbstmitleid zu ertränken. Sich bis zur Nase im imaginären Tränen-See von vorm Erträumen ermordeter Fantasien wiederzufinden anstatt nur mal eben mit den Zehenspitzen anzutasten, ob sich das Wasser nicht doch ein wenig übertrieben pathetisch anfühlt. Dramatik ist unsere Religion.

Wer in seinem Inneren der Abstraktivität so viel Mietraum zum Einzug lässt, muss stärker fühlen, als wer sich vor dem Anormalen verschließt. Ich fühle aber lieber mehr, spüre mehr den selbst auferlegten Weltschmerz in meinen Venen und die personifizierten Stimmen in meinem Kopf, als mit meinem Spiegelbild im gedankenleeren Raum zu stehen. Wenn ich panisch durch die Wohnung renne, weil mich die vielen Charaktere überwältigen, oder zuversichtlich tanzend den Pinsel schwinge, schäumt derselbe Strudel wild vor sich hin, offenbart mir die verseuchtesten wie glänzendsten Lücken meiner Selbst, die mir mit fadisierten Augen verborgen bleiben. So bin ich wenigstens nie ganz allein.