Bali Magie
Er hat was Magisches, dieser Ort. Als würden all die schlechten Gewohnheiten in der steigenden Luftfeuchtigkeit ertrinken. Als würden die positiven Vibes nur genug Saft zum Grünen brauchen, als wären sie in der europäischen Winterkälte erfroren. Es ist ein Fluchtort, ein Loch, in das man sich wirft, weil unten die Utopie einen auffängt: Das hier ist nicht echt. Keiner hier ist es. Wir verstecken unser Ich hinter schwitzenden Tantra-Yoga-Sessions und rohveganen Mantra-Jams. Hier leben wir aus, wer wir sonst nicht sein dürfen und keiner verurteilt uns, wenn wir über tiefgründige Gefühle reden, die wir gar nicht haben. Wenn wir Liebe als universelles höchstes Ziel preisen, obwohl wir sonst keiner fremden Seele in die Augen schauen. Wir lassen uns einfach mitziehen vom Gefühl des Dazugehörens und überholen alte Gewohnheiten mit crystal-klarer Ignoranz. Es ist leicht, keine Schokolade zu essen, weil wir hier keine Sünden brauchen, um den Alltag zu ertragen.
Ich bin im Zentrum und doch bin ich gedankenweit von meinem Ich entfernt. Dieser Ort ist Gift. Und doch werde ich nicht fortgehen, weil mir besser gefällt, wer ich mich hier traue zu werden, als wer daheim erwartet wird, Ich zu sein. Ich mag mich nicht. Bali-Ich schon.
Wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich schöner. Ich brauche kein Make-Up und keinen BH, um zu akzeptieren, wie ich wirke. Ich muss nicht wirken, um zu leben - ich lebe, wie man mich wahrnimmt und das gut und voller Zufriedenheit. Die Eifersucht ist hier geringer auf fremde Körper, weil ich weiß, wenn ich gehe, werde ich denselben haben und während ich hier bin, ist mein Körper nicht wichtig. Nur ich sehe meine Facette, der Rest blickt in meine Seele. Und die passt schon, das weiß ich. Alles andere verliert an Wichtigkeit, aber Ich als das Bali-Ich kann mich deutlicher wahrnehmen als sonst und mein echtes Ich wandeln, wie ich möchte. Äußerlich, zumindest.
Die Angst vor der Nadel ist hier nicht; die Sorge vor der Unendlichkeit hat keinen Wert. Es ist der Atemzug im Moment, der dies besonders macht, der zählt. Denn er ist es wert, Bedeutung zu tragen. Was dann ist, war Erinnerung. Wenn ich die Narben einer perfekten Welt mit mir tragen darf, dann werde ich das tun.