Weil die Muse nicht küsst

Ich muss damit aufhören, allem zwanghaft einen Sinn beifügen zu wollen. Jedem Tun und Schaffen eine Notwendigkeit beizumessen, suggeriert Stress in mir. Ich bin gestresst, weil ich jetzt hier hocke und nichts zu tun habe. Ich bin gestresst, weil ich mir einrede, diese Zeit des Nichtstuns nützlich machen zu müssen. Es ist diese innere Selbstverpflichtung, die mich dazu treibt, tatsächlich nichts zu erreichen: Weil ich mich auf der Existenz meiner Kreativität ausruhe. Weil ich so überzeugt davon bin, kreativ zu sein und diese Gebung unterstützen zu wollen, dass mein auf ihr aufbauender Charakter sich unter ihr biegt und bricht. Am Ende der kreativen Zeit ist nichts Kreatives geworden, nur Leere geblieben, wo Hoffnung lauerte. Auf Eingebung der Muse, auf Eintreffen des Geistesblitzes, der rettenden Idee, welche die Erlösung des hausgemachten Marterns bringt.

© Michael Wittig

Wenn ich nur etwas fünde, einen Schimmer hätte, der vor meinen Augen abglänzend sich in das Antlitz anderer einbrannte, genügte es schon.

Drei Jahre schreibe ich schon mein Buch. Drei Jahre ist nichts geschehen, außer lose Worte, die sich in den Ohren vieler vielleicht willigender Bewundernder zu Gedanken formten. Eine Idee zum Greifen nah und doch weiter entfernt als Mensch zu zählen vermag, weil die Geburtsstunde noch nicht geschlagen hat im Schoß der Brütenden. 

Was soll die Sprache. Was soll die aufgesetzte Bemühtheit am Intellekt, wenn nichts kommt; wieder nichts kommt außer der Gestank von Feigheit über den Tellerrand der Selbstverliebtheit gekrochen. Schnell kann man sich ergötzen an einer Vorstellung der Gegenwart anderer, der wahren kreativen Genies unserer Zeit, und sie auserkoren zur eigenen Zukunft. Dann ruht man sich aus nach der Biografie eines Idols, motiviert bis in die Haarspitzen mit künstlerischem Tatendrang und geht rauchend schlafen, während im Hirn die letzten Keime einer eigenen Idee im Qualm ertränkt werden. Das ist falsch.

So vieles ist falsch, wenn man glaubt, sich ein Vorbild zu nehmen, an den Erfolgen anderer, sich von derselben Muse küssen zu lassen und zu stagnieren als was Eigenes, was Organisches. Wer Kunst ist, muss Kunst spüren. Ich schau nur von unten zu ihr hoch, mit dem Fernglas übers Meer und erkenne den Horizont in meinen Adern nicht. Da braucht’s noch mehr. 

Vorm Bildschirm zu hocken, Inspiration um Inspiration zu verdauen, bringt Überwältigung mit sich, so stark, dass kein Anfang sich finden lässt. Und der Sinn des Seins dem Zeitdruck gegen die eigene Uhr entgegen platzt; keine Zeit zum Entwickeln, sofort oder gar nicht. Was geschieht muss gut sein. Zwei Jahre noch, in denen Unglaubliches geschehen muss, das Unerschaffbare geschaffen, sonst fließt er vorbei der Club 27 und man wäre umsonst gestorben. Nachwelt ist wichtiger als Gegenwart, meine Episode wertlos gegenüber der Ewigkeit. Ewig zu sein scheint die Potenz meiner Natur, dabei schuf und schaffe ich nichts, das sich nur in der Allgegenwärtigkeit bewährt. Ein Kampf.

Es ist diese Furcht der Unbedeutsamkeit, die mich durchschlafen lässt. Solange ich nichts tue, das nicht daneben gehen kann, ist mein Dasein nicht berechtigt, daher nicht verletzbar. Ich kann nicht verlieren, was ich nicht habe. Wenngleich der Besitz des Endlosen in Form meiner Selbst mich antreibt und stärkt, so sitze ich doch da allein und falle in meiner eigenen Ungenügsamkeit zusammen. Ich will Wert sein aber nicht meinen Wert schaffen müssen. Der Weg dorthin ist sperrig, Zweifel blockieren Passagen und Träume wollen gekatert werden. Wer nur träumt und nicht verwirklicht ist unverwundbar. 

Der Himmel ist grau.

Er spiegelt sich kahl in meinen Augen, er lässt sich greifen. Aber fällt man so tief, wenn die Wolken verzischen. Ich will hoch, doch Melancholie hält mich am Boden. Selbstmitleid für nicht gelebte Einfälle, nicht verfolgte Momente und unversehrte Stürme zerfressen meine Flügel und verbieten mir zu fliegen. Ich bin bereits gestürzter Künstler, vergessener Autor, verhohnter Narr. Ich muss mir nicht unter Beweis stellen, dass ich mich an meinem hausgemachten Leidensweg erwärme. Ich strahle wie ein Atomreaktor und bin tief wie die Büchse Pandoras. Ohne Licht kein Leben, ohne Schmerz kein Gefühl. Ich bin genauso nutzlos, wie ein Stein in meinem Dasein und doch pflaster ich Wege. Mein kontinuierliches Nichtstun und Vorreden der glücklichen Einfälle, die ich haben könnte, wenn ich die Hexe nur überwinde, schaffen mein kreativitätsfreies Loch im Bewusstsein, formen den emotionsgeladenen Tunnel zu meiner Selbst. Die Sonne lacht immer. Der Himmel ist grau.

Sarah Kampitsch